von Sabine Hagen
•
20 Mai, 2022
Am Montag nach Muttertag findet jährlich der Tag der Kinderbetreuung statt. Dieses Jahr sogar bereits zum 10. Mal. Eine Woche später dann die Verleihung des Deutschen Kitapreises, ebenfalls ein Jubiläum, denn diese Auszeichnung wird im 5. Jahr in zwei unterschiedlichen Kategorien vergeben (Kita des Jahres, Lokales Bündnis für frühe Bildung des Jahres). Viel Grund zum Feiern und vor allem viel Aufmerksamkeit für die großartige Arbeit in den frühkindlichen Bildungseinrichtungen und der Tagespflege. Dazwischen starteten wir unsere beiden Events, den ersten bundesweiten Kitagipfel und #KitaHackathon 2022. Eine aufregende Woche, die, vor allem an besagtem Tag der Kinderbetreuung, voll war mit Lob und warmen Worten für die Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen und der Tagespflege. Viele Postings waren auf Social Media zu sehen, in denen die unterschiedlichsten Personen ihren Dank aussprachen. Und dann kam der Dienstag. Wie das Klatschen für die Pflegekräfte während der Pandemie, so verpufften auch diese Postings und verschwanden im Datenmeer des Algorithmus. Wir stehen in Deutschland aktuell an einem Wendepunkt. Wo vielerorts Menschen mit Maske beäugt werden, als hätten sie die Krätze, oder Sätze fallen wie: „Sie benötigen keine Maske mehr. Bitte nehmen Sie sie ab, sie erschrecken damit meine Kinder!“, verschließt man damit nur die Augen vor dem eigentlichen Problem. Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Vor lauter Feierlaune gilt es auch und vor allem im frühkindlichen Bildungsbereich die Augen zu öffnen. Wie ich bereits in den letzten Beiträgen geschrieben habe, drängt die Zeit, denn unser frühkindlicher Bildungsbereich brennt . Da reichen nette Postings auch nicht zum Löschen. Wir steuern auf einen Herbst und Winter zu, der vor allem wieder einmal den Bildungsbereich treffen wird, oder um es deutlicher zu machen: die Kinder und deren #BildungsCrash [1] . „ Virologen warnen schon vor der nächsten Corona-Welle im Herbst. Die Aussichten für den Herbst 2022 sind nach einer Modellprognose der TU Berlin eher ernüchternd. Und schon in den vergangenen Sommern entspannte sich die Corona-Lage. Dann im Herbst änderte sich das schlagartig. Infektionszahlen explodierten nach den Sommerferien – dann erst reagierte die Politik. “ (Merkur) „ Ach, dass bisschen Kinderbetreuung, …“ , wird man dann Christian sagen hören, Vorstandsvorsitzender der Kinder-Sind-Mir-Doch-Egal AG und Nachfolger von Thomas (s. Allbright-Stiftung 2021). Doch wissen vor allem Eltern, dass es eben nicht „ein bisschen Kinderbetreuung“ ist, wenn man auf Grund der geschlossenen Gruppe (Grund: Fachkräftemangel oder pandemiebedingt), der gesamten Kita oder Distanzunterricht, mit den eigenen Kindern im Homeoffice sitzt. Christian steht somit der Herausforderung gegenüber, dass seine Mitarbeitenden ausgebrannt oder der Ruf der AG so schlecht geworden ist, dass sich nur noch wenige Bewerber:innen auf offene Stellen finden. Damit geht jedoch nicht nur die Zukunft des Unternehmens kaputt, sondern auch die der Kinder und Eltern, da sich womöglich die Einkommenssituation ändert. Daraus resultiert dann ebenfalls die Kürzung der Buchungsstunden in der Kita, die vor allem im U3-Bereich nicht unerheblich sind und die Kinder ziehen wieder den Kürzeren. Es bildet sich also ein gesamtgesellschaftliches Problem. „Kinder haben ein Recht darauf, gehört, gesehen und gefragt zu werden. Sie haben ein Recht auf Beachtung und auf Achtung ihrer Menschenrechte und ein Recht „auf den heutigen Tag“. Kinder sind aktive Gestalter*innen ihrer Welt und ihrer Interaktionen mit Erwachsenen und anderen Kindern. Es gilt, ihre verschiedenen Ausdrucksformen aufmerksam wahrzunehmen, ihre Perspektive zu verstehen, sie gegebenenfalls zu „übersetzen“ und Kinder kontinuierlich und systematisch an der Entwicklung von Kita-Qualität zu beteiligen.“ (Bertelsmann 2021, S. 2) Doch was ist Qualität in Kitas überhaupt und was hat das mit Christian zu tun? Ist es die Betreuungsleistung von sechs bis 18 Uhr, damit die Eltern als Arbeitnehmende ihrer Arbeit z. B. in der Kinder-Sind-Mir-Doch-Egal AG nachgehen können? Oder ist es doch eher eine gut ausgestattete (personell, wie finanziell und materiell) Kindertageseinrichtung, in welcher sich die Kinder individuell und frei entfalten und ihrem Recht auf (digitale) Bildung nachgehen können? Wie war das noch gleich mit den Kinderrechten und dem Grundgesetz? Der Rat der Europäischen Union hat 2021 eine Empfehlung ausgesprochen, aus welcher nun in Deutschland der Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ und Ekin Deligöz als Nationale Kinderchancen-Koordinatorin hervorgegangen ist. Die Empfehlung sieht u. a. folgendes vor: „(19) Der frühzeitige Abbau von Benachteiligungen ist eine kosteneffiziente Investition, auch langfristig, da er nicht nur zur Inklusion von Kindern und zu besseren sozioökonomischen Ergebnissen im Erwachsenenalter beiträgt, sondern durch eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft sowie durch Verbesserung des Übergangs von der Schule zum Beruf, unter anderem durch die vollständige Umsetzung der Empfehlung des Rates vom 30. Oktober 2020 zum Thema „Eine Brücke ins Arbeitsleben – Stärkung der Jugendgarantie“, auch einen Beitrag zur Wirtschaft und zur Gesellschaft leistet. Investitionen in die Chancengleichheit von Kindern bilden die Grundlage für ein nachhaltiges und inklusives Wachstum, das faire und widerstandsfähige Gesellschaften und eine soziale Aufwärtskonvergenz unterstützt. Auch wird dadurch ein Beitrag dazu geleistet, die Auswirkungen ungünstiger demografischer Entwicklungen zu bewältigen, indem der Mangel an Fachkräften und generell an Arbeitskräften verringert und eine bessere territoriale Abdeckung sichergestellt wird, während gleichzeitig die Chancen, die sich aus dem grünen und dem digitalen Wandel ergeben, genutzt werden. (20) Ein gleichberechtigter Zugang zu hochwertiger und inklusiver frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung ist von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, die Weitergabe sozialer Ausgrenzung zu durchbrechen und Chancengleichheit für benachteiligte Kinder zu gewährleisten. Die begrenzte Verfügbarkeit und die hohen Kosten der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung können jedoch ein Hindernis für Kinder aus einkommensschwachen Familien darstellen. Ihre Teilnahmequoten sind erheblich niedriger und führen später zu schlechteren Bildungsergebnissen und höheren Schulabbruchsquoten, insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund oder Roma-Kindern. Segregation und Diskriminierung beim Zugang von Kindern mit Behinderungen oder sonderpädagogischem Förderbedarf zum regulären Bildungssystem stellen nach wie vor eine Herausforderung dar. Die Wahl der Bildungseinrichtung muss im Sinne des Wohls des Kindes erfolgen. Angesichts steigender Zahlen von Kindern mit Migrationshintergrund in den Bildungssystemen gilt es, ein segregiertes schulisches Umfeld zu verhindern und die Unterrichtsmethoden anzupassen, nach Maßgabe des nationalen Rechts und der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Rahmen der einschlägigen internationalen Instrumente auf diesem Gebiet“. (Rat der Europäischen Union) Was in dieser Empfehlung (welche sich an bedürftige Kinder = „Personen unter 18 Jahren, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind“ (Rat der Europäischen Union) richtet) wichtig ist, es ist immer die Rede von frühkindlicher Bildung, Betreuung und Förderung. Eine bundesweite Akzeptanz, dass es sich bei Kindertageseinrichtungen um Einrichtungen der frühkindlichen Bildung handelt, wäre hier der erste Schritt! Denn reden wir über Chancengleichheit, so haben alle Kinder innerhalb einer Nation das Recht auf eine hochwertige (frühkindliche) Bildung, Betreuung und Förderung. Also Christian, hier geht es um die Zukunft deines börsennotierten Unternehmens und aktuell um die Kinder deiner Mitarbeitenden. 😉 „Was geht mich das an? Schließlich habe ich die Mitarbeitenden eingestellt, um zu arbeiten, und nicht auf Grund der Tatsache, dass sie Eltern sind!“ Dann argumentiere ich hier gerne mit den Argumenten aus dem Beitrag „ Es ist doch nur Schnupfen “: Fassen wir also einmal kurz die aktuelle Lage zusammen. Wir haben: Christian, Vorstandsvorsitzender der Kinder-Sind-Mir-Doch-Egal AG, dessen Mitarbeiter:innen ausgebrannt oder kurz vor der Kündigung stehen. Den frühkindlichen Bildungsbereich, der am Ende ist Die Kinder, die wie man es dreht und wendet, den Kürzeren ziehen. Wie kriegen wir nun alle zusammen, so dass die Rechte, Aufgaben und Entwicklung jeder und jedes Einzelnen gewahrt bleibt? Die Empfehlung des Rats der Europäischen Union gibt uns bereits die Antwort: Wir müssen investieren, und zwar in die Bildung, Betreuung und Entwicklung der Kinder und das ab der frühkindlichen Bildung, den Kindertageseinrichtungen und der Tagespflege!